TAGEBUCH EINES GARTENS - Lifestyle-Übungen Nr. 02

KulturtheorieSchöner Schein. Die Seife für den Gärtner

Ich wusste gar nicht, wie teuer Seife sein kann. Design aus Holland. Seife aus China. Kernseife für Lebenssucher. Für die, die es sich leisten können. Gegen den Rest der Welt. Sauberkeit für den schönen Schein. Für die reinen Hände. Na ja, dann bitte!

Unsere Alltagswelt erscheint mehr und mehr ästhetisiert. Jeder Aspekt - Teil eines bestimmten Lifestyles, einer individuellen Inszenierungspraxis. Für die, die das Spiel der Globalisierung mitspielen können. Eine Neue Mitte, die mit ihren Exzessen des Glücks und den Sehnsüchten eines erfüllten Daseins auf Kosten der Welt lebt.

Ökonomisierte Wirklichkeitsordnung agiler und nie ruhender Akteure, auf der Suche nach Erfolg, nach einer Position in der Gesellschaft. Sehnsüchtige Spieler, die mit ihrem veganem Essen, ihrer ökologischen Kleidung, CO2 bewusstem Reisen und der bereitwilligen Entgrenzungen zwischen dem Beruflichen und Privaten, zwischen Mobilität und Leistungsfähigkeit nie bei sich selber ankommen.

Sklaven unserer Produktivität

Aber warum werden wir zu Sklaven unseres produktiven Scheins? Warum diese ständige Bereitschaft zur Optimierung unseres Selbst? Immer besser werden wollen, Teil eines globalen Wettbewerbs sein. Was ist der Preis dieses glücklichen, sinnreichen Lebens?

Wir kaufen uns den Lifestyle, den wir uns leisten können. Vom Shampoo bis zu den Gartenmöbeln. Wir kaufen Häuser auf dem Land, bauen Buden in der Stadt. Erziehen Kinder. Finanzieren uns Sehnsüchte: für Partner, Beziehungen, für uns, für die Familie, die Welt. Wir waschen uns rein, um nicht zu erkennen wie gewöhnlich wir eigentlich sind. Einfach nur einer - eine von vielen - ohne besondere Talente und Fähigkeiten sein? Eine nicht zu ertragende Vorstellung. Trotz des Hauses, der Buden, des Gartens, der tollen Jacke, des außergewöhnlichen Jobs? Gedankliche No-Go-Area für den Menschen 2.0.

Alte Geschichten

Wir haben die alten Geschichten vergessen, die uns erzählten, dass wir etwas Besonders sind, nur weil wir Menschen waren. Dieser Umstand, der uns fernab aller Unterschiede, Kauforgien und digitaler Verbrüderung verbindet. Wir haben die Geschichten vergessen - und werden uns vielleicht auch nicht mehr erinnern können, an die, die uns Hoffnung gaben. Hoffnung für die Zukunft. Unser Schicksal ist uns abhanden gekommen und unser Leben erstickt in Ansprüchen und Bedürfnissen. In der Unzulänglichkeit, uns selbst zu genügen. Wir sind bestimmt vom Glauben an die eigene Selbstoptimierung. Getrieben durch die Illusion, es immer etwas besser machen zu können. Die permanente Flucht in die Überforderung, die Vieles vergessen lässt.

Ich baue einen Garten an und weiß nicht, ob es irgend einen Sinn hat. Trotz des zu bestellenden Beets. Trotz der gekauften Pflanzen. Ich weiß nicht einmal, ob ich das Gemüse mag. Oder ob überhaupt irgendetwas wachsen wird. Ich merke nur, dass der verdammte Schmutz nicht abgeht und die Seife nicht hilft. Trotz des schönen Designs - das Beet trägt keine Frucht. TAGEBUCH EINES GARTENS - Lifestyle-Übung Nr. 2.

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Lifestyle-Übung Nr. 01: Gemüse anbauen

Scheinbar wissen alle Bescheid außer mir. Ob es um das Anlegen des perfekten Küchengartens, den Anbau nach Perma-Kultur-Prinzip oder dem besten organischen Saatgut geht – Blogs, Zeitschriften und Fernsehformate haben den eigenen Garten zum Kulturgut erklärt und führen mir fast täglich meine Unwissenheit vor Augen. Aufgewachsen in der Stadt, gab es nur eine Sache, die ich bis dato lernte (an) zu bauen – Buden natürlich! Und die meistens neben einem Altglas-Container an einer befahrenen Hauptverkehrsstraße zwischen Brennnesseln. Es wird also Zeit, dass ich mich meiner mangelhaften Kenntnisse stelle und ein Beet bepflanze. Das Landleben ruft - und ich werde antworten! Ein Feldversuch.

Feldversuch 01: 2 PROBADEN - 15.03.2015: 12.26 Uhr

Wir fangen an! Erstmal umgraben. Verstehe. Dann einlochen. Die Erde also direkt ins Loch werfen. Geschafft. So, weiter. Ich weiß jetzt schon, dass ich irgendwie komisch stehe und mir gleich das Rückgrat bricht. Aber gut. Jeder bekommt eine Ecke zugewiesen. Warum eigentlich? Ok. Ansonsten stehen wir uns zu sehr im Weg. Irgendwie ist es auch ganz nett, so draußen. Vielleicht geht man auch einfach nur in den Garten, weil man hier eine Weile nicht miteinander reden muss. Also allein zu zweit. Das perfekte Lebensmodell. Zweiter Proband pflanzt nun Lavendel.

Der Rhabarber wird als erstes ins Beet gesetzt. Dann der Kopfsalat, Rotkohl, Kohlrabi, Rote Beete, Kartoffeln und Zwiebeln. Eigentlich habe ich keine Ahnung, ob die kleinen Stecklinge vor dem Frost schon raus können. Aber zumindest steht es so auf der Verpackung…. ab März… naja, dann schauen wir mal. Scheitern als Konzept.

B&B für Gemüse. Schutz vor Frost

Ok, weiter. Ich habe mir überlegt, dass es doch ganz schön für die Kohlrabis wäre, wenn ich die alten Dachpfannen, die hinterm Schuppen liegen, in die Erde setze, damit der Wind nicht so über den Grund fegt. Windgeschütztes Wachsen sozusagen. Auch um meine Angst vor „Väterchen Frost“ etwas zu mildern. In einer Architekturzeitung habe ich irgendwann mal gesehen, dass man so kleine Abgrenzungen aus Stöcken und Zweigen bauen kann, um die einzelnen Beete voneinander zu trennen. Fand ich ganz hübsch. Probiere ich auch mal. Dauert nur etwas lange. Schön sehen die Abgrenzungen mit den Zweigen aber aus. Irgendwie wie in einem „Erlebnisdorf für germanische Stämme“. Aber jetzt muss erst mal das Zeug in die Erde.

Knoblauch und Salat

So, nun habe ich den Knoblauch neben den Salat gepflanzt. Ich hoffe, das ist richtig und die Schnecken lassen den Kopfsalat in Ruhe. Ich wüsste gerne viel mehr über diese ganzen Tricks. Weiß es aber nicht. Ich werde später mal googeln. Es ist jetzt 16.23 Uhr. Meine erster Tag im Gemüsegarten ist vorbei. Irgendwie schön zu sehen, was man gemacht hat. Habe rote Bäckchen. Ich gehe ins Haus. Lifestyle-Übung Nr. 01.

Mal schauen, was draus wird.

mehr am 24.04 - Tagebuch eines Gartens. Lifstyle-Übung Nr. 02

Selbstversuche. Tagebuch eines Gartens

ENTSCHLEUNIGUNGEN: VIVAT, CRESCAT, FLOREAT

Was soll diese Sehnsucht nach dem Garten? Vom Urban Gardening, dem eigenen Biogemüse, guerilla gardening der Städte, Permakultur, romantischer Wildnis oder Kräutermischungen aus dem Klostergarten. Gärten werden zu Rückzugsorten eines überreizten Selbst. Zu Fluchtpunkten des heimischen Idylls. Zu Refugien und Orten praktischer Arbeit. Aber weshalb macht uns die Gartenarbeit glücklich? Welche kulturellen und persönlichen Dispositive werden gestillt? Und was sagen unsere Gärten über uns aus? Überlegungen zwischen Theorie und Praxis.

Organic ist der Versuch, das kulturhistorische Phänomen „Garten“ näher zu untersuchen. Andere Perspektive zu reflektieren: von Laien, Interessierten, Hobbygärtnern und Experten. Organic sind Reflexionen unserer Alltagswelt, Auseinandersetzungen mit Praktiken der Entschleunigung. Beschreibungen des Tempos unserer Zeit. Also ab nach draußen! Vivat, crescat, floreat. Das Garten möge leben, blühen und gedeihen.

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